Infiziert vom Virus Olympia

Die beiden sind im Kreis Aschaffenburg keine Unbekannten, schon gar nicht in der Sportszene:
Physiotherapeut Werner Krass (68) aus Sailauf ist mit seinen heilenden Händen eine Legende; Hausarzt Erich Mützel (70) ist Gründer eines Medizinischen Versorgungszentrums in Goldbach, 9000 Patienten betreuen er und seine Kollegen. Mützel engagiert sich in der Palliativmedizin; und genauso wie Krass kümmert er sich leidenschaftlich um Sportler. Und beide sind unheilbar infiziert vom »Virus Olympia«, wie es Mützel nennt. Wir treffen uns in Paris, sprechen an einem schattigen Plätzchen an der Beachvolleyball-Arena. Der schnelle Sport im Sand fasziniert die beiden, hier haben sie für die kommenden Tage noch Finalkarten für die Männer und die Frauen. Bei den Leichtathleten in St. Denis haben sie das 100-Meter-Finale gesehen. Und natürlich haben sie für mehrere Tage Ringer-Tickets; das ist ihr Sport, die besten deutschen Kampfsportler gehen bei ihnen ein und aus, die Legende Alexander Leipold zum Beispiel.
Großartige Menschen
"Die Menschen" nennen sie neben ihrer ausgeprägten Sportbegeisterung als Hauptgrund für ihr Olympia-Fieber. »Großartige Menschen« treffe man hier, die friedlich und voller Freude zusammenkommen. »Es gibt keinen Hass, keine Aggressivität«, sagt Mützel. Freundschaften seien über Grenzen hinweg entstanden, immer wieder treffe man sich bei den nächsten Spielen. Ihre Familien haben sie mit dem olympischen Virus infiziert: 1992 in Barcelona und 1996 in Atlanta sei man gemeinsam unterwegs gewesen. Mützels Sohn Max, ebenfalls Hausarzt, kommt deshalb auch nach Paris. Anna Wallmen-Krass, die als Physiotherapeutin mit eigener Praxis in Goldbach deutsche Top-Golferinnen begleitet, wird sich mit ihrer Familie die Olympischen Spiele in der Nachbarschaft nicht entgehen lassen, erzählt Werner Krass. Krass selbst hat Olympia nicht nur als Tourist erlebt. »Zwölfmal war ich als akkreditierter Physiotherapeut dabei, viermal dann noch als Tourist«, sagt der Medizin-Mann, zu dem viele Top-Athleten kommen. Der 25-jährige Hallen-Volleyballer Tobias Krick, der zum Team D in Paris gehört, vertraut beispielsweise auf die Heilkunst aus dem Spessart. Zu den großen Namen, die Krass als Physio begleitet hat, gehören die Bobfahrer Susi Erdmann, Olympiasiegerin Sandra Kiriasis, Olympiasieger und Weltmeister Christoph Langen und René Spies mit ihren Teams; Spies ist heute Bundestrainer. Die olympische Karriere von Werner Krass startete 1998 bei den Winterspielen in Nagano, erinnert er sich. »1972 in München«, berichtet Erich Mützel, seien seine ersten Olympischen Spiele gewesen. Seit mehr als 50 Jahren reist er zu Olympia; er und Krass nennen sich selbst »olympische Weltenbummler.« Mützel kommt auf 13 Olympia-Teilnahmen als Tourist. Dokumentiert haben die beiden ihre olympischen Touren (und andere Sport-Reisen) auf einer riesigen Deutschland-Fahne, die sie überall hin mitnehmen.
Begeistert von Reiter-Gold
Werner Krass erzählt, dass sein Herz auch für die Reiterei besonders schlage – keine Überraschung, bietet er doch auch in Sailauf therapeutisches Reiten an. Sein ganzes Leben seien ihm Pferde immer schon wichtig gewesen. »Was die deutschen Reiter hier abliefern – das finde ich klasse.« Beim Olympia-Finale der Springreiter in Versailles dabei zu sein, war für beide daher selbstverständlich. »Super war es«, freute sich Werner Krass am Dienstag über Gold für Christian Kukuk und Bundestrainer Otto Becker, der aus Großostheim stammt – genauso wie über die beiden goldenen Dressur-Medaillen. Beim Thema Reiten wird Krass auch etwas grundsätzlicher: »So etwas wie das deutsche Dressurreiten ist doch ein Teil der deutschen Kultur.« Die Begeisterung für den Sport und die zwischenmenschlichen Begegnungen bei den Spielen trübt bei beiden aber nicht den Blick auf Problematisches, auf Fehlentwicklungen. Mützel nennt die »extreme Kommerzialisierung«, die zu »Eintrittspreisen führt, die sich viele nicht mehr leisten können«. Beide sind nicht naiv, sie wissen, dass sich dieses Rad nicht zurückdrehen lässt. Aber beide hoffen, dass das Virus Olympia noch viele infiziert.
Main Echo Redakteur Martin Schwarzkopf
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